„Musik fängt dort an, wo Sprache aufhört.“* – Erfahrung mit aktivem Musizieren
Die ersten vier Lebensjahre verbrachte ich ohne Sprache. Das war in den 1970er Jahren.
Erst im Alter von 4 Jahren wurde festgestellt: An Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit mit schwerer audiogener Dyslalie, schwerer Sprachentwicklungsrückstand.
Dank der Hörberatungsstelle Neukölln konnte die richtige Diagnose bei mir gestellt werden. Von da an gab es eine Steilaufwärts-Entwicklung: Ich bekam eine Hörgerätversorgung, lernte durch auditiv-verbale Erziehung sprechen, und mein Resthörvermögen wurde trainiert. Das war im Sonderkindergarten für hörgeschädigte Kinder in Berlin-Neukölln.
In dieser Zeit hatte ich als Kind einen großen Nachholbedarf an Wissen, so auch das „Erforschen von Musik“, die ich mit meinem Tieftonhörtest nicht komplett vernehme wie Hörende. Es fehlt bei der Wahrnehmung das Spektrum oberhalb 700Hz.
Mich faszinierte als Kind, dass die Erwachsenen in meinem familiären Umfeld bei Musik stets entspannt und fröhlich waren. Musik berührt die Menschen im tiefsten Inneren, was Sprache wohl nicht vermag, so mein Eindruck. Herauszufinden, warum das so ist, waren als Kind meine unbewusste Intention und meine Neugierde, einen Zugang zur Musik zu bekommen. Die Sprache habe ich mittlerweile durch Therapie gelernt, die Musik noch nicht.
Mithilfe einer Kinder-Orgel – zu Weihnachten als Achtjährige geschenkt bekommen – begann ich autodidaktisch Noten zu lernen. Mit zehn bekam ich Orgelunterricht, mit zwölf Klavierunterricht, mit dreizehn Querflötenunterricht. Das Notenlernen war für mich der Einstieg in die Musik, wie das Lesenlernen der Einstieg in die Literatur ist.
An der gymnasialen Regelschule entschied ich mich ausgerechnet für Musik als Pflichtfach: Ich konnte den Musiklehrer mit meiner Leistung überzeugen – trotz meiner an Taubheit grenzenden Hörschädigung. Bis zur 10. Klasse hatte es für die Musik gereicht, solange es Musiktheorie, Harmonielehre und Notenlesen war. An der Sekundarstufe II wechselte ich dann doch auf Kunst als Leistungskurs über, da Musikinterpretation rein nach Gehör tatsächlich nicht meine „Hör“-Welt ist.
Das aktive Musizieren in Form von Hausmusik ist heute – nach langer, über 20jähriger Pause – wieder ein wichtiger Aspekt für mich und für meine Musik-Wahrnehmung. Nach meiner CI-OP in 2012 wählte ich die Musiktherapie im CIC Berlin Brandenburg. Seitdem nehme ich nebenher privat Gitarrenunterricht und spiele wieder gelegentlich Querflöte, die bisher meine größte Herausforderung ist.
Mit meinem Vortrag möchte ich veranschaulichen, dass ein Zugang zur Musik für Gehörlose, Hörgeschädigte und CI-Träger sehr gut möglich ist. Resonanz und Rhythmus spüren sowie der emotionale Zugewinn stehen für mich im Vordergrund.